(Oldenburger International 04/2017)
Mit Beginn der Weidesaison häufen sich Rechtsstreitigkeiten rund um Pferde in Gruppenhaltungen auf der Weide, Zaunverletzungen aber auch ungeklärte Todesfälle, die auf der Weide eintreten. Im vergangenen Jahr gab es beispielsweise wieder einige Fälle von atypischer Weidemyopathie, mit der sich jetzt die Gerichte befassen müssen.
1) atypische Weidemyopathie
bei der atypischen und saisonal auftretenden Muskelerkrankung, die vornehmlich in den Monaten Oktober bis Dezember auftritt, handelt es sich nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen um Folge der Aufnahme von reifen Ahornsamen, speziell Bergahorn.
Das Toxin Hypoglycin A aus dem Samen oder Keimlingen von Bergahorn blockiert durch die Methylencyclopropyl-Essigsäure (MCPA) den Fettsäuremetabolismus. Dadurch kommt es zu einem Acetyl-Co-A-Defizit, sodass die Pferde keine Fette als Energiequellen mehr verstoffwechseln können. Dies betrifft vor allem die Typ-1-Muskelzellen der Haltungs-, Atmungs- und Herzmuskulatur.
Fest steht, dass die atypische Weidemyopathie vorwiegend im Herbst auftritt, selten noch im Frühjahr, jedoch bisher nicht nachgewiesen im Sommer. Besonders häufig konnte sie nach frostigen, mit einem plötzlichen Kälteeinbruch einhergehenden Nächten, oder nach einem plötzlichen Wetterumschwung in den Kältebereich festgestellt werden. Man geht davon aus, dass zu Beginn der kalten Jahreszeit, insbesondere bei hoher Luftfeuchte, Wind und nächtlichen Temperaturen unter 8°, die Samen auf den Grund der Weide fallen und dann von den Pferden zusammen mit dem Weidegras aufgenommen werden. Die Toxine führen zu einer Schädigung des mitochondrialen Fettsäure-Energiestoffwechsels in der Muskelzelle. Die Zellen gehen dann zugrunde und die daraus freiwerdenden Substanzen sind klinisch und labordiagnostisch nachweisbar. Die Pferde zeigen in der Regel einen bräunlich-roten bis hin zu kaffeefarbenen Urin. Als Ursache hierfür wird der Untergang der Muskelzellen angesehen, der freiwerdende “Muskelfarbstoff” wird über die Niere ausgeschieden und färbt den Urin entsprechend dunkel. Häufig tritt auch eine erhöhte Herzfrequenz bei normaler Körpertemperatur auf, gerötete Schleimhäute, Schwäche, Apathie mit hängendem Kopf und Ödemen im Kopf, Zittern, Steifheit bis hin zum Festliegen und Tod des Pferdes. Manche Pferde zeigen zusätzlich Koliksymptome, verweigern die Nahrung, andere fressen ganz normal. Alle Pferde, bei denen die atypische Weidemyopathie nachgewiesen werden konnte, befanden sich zwischen sechs und 24 Stunden täglich auf einer Weide mit Baumbestand.
Im vergangenen Dezember starben zwei Pferde infolge atypischer Weidemyopathie, die beide in einem Pensionsstall zur Aufzucht untergebracht waren. Die Pferde standen ganztägig auf einem Auslauf, direkt angrenzend an diesen Auslauf befand sich eine Hecke, direkt dahinter ein Ahornbaum. Das erste Pferd erkrankte und verstarb. Es wurde daraufhin in der Pathologie in der Justus Liebig Universität Gießen untersucht. Dort kam man zu dem Ergebnis, dass höchstwahrscheinlich eine Erkrankung an atypischer Weidemyopathie vorlag. Nach Auffassung der Pathologen handelte sich um ein Anfangsstadium der Erkrankung. Die Eigentümerin des Pferdes machte daraufhin Schadensersatzansprüche wegen des Verlustes des Pferdes und der tierärztlichen Heilbehandlung gegenüber dem Pensionsstallbetreiber geltend. Dieser unterhielt eine Obhutsschadenversicherung, die er umgehend informierte. Die Obhutsschadenversicherung lehnte ihre Eintrittspflicht mit der Begründung ab, dass es für den Stallbetreiber nicht erkennbar gewesen sei, dass der Ahornbaum und hier speziell dessen Samen für Pferde einer Gefahr darstelle. Es wurde lediglich eine kleine Summe als Vergleichszahlung angeboten, da der Pensionsstallbetreiber eine Entschädigung des Pferdeeigentümers wünschte. Diesem war der Vorfall nämlich höchst unangenehm. Außerdem war er der Meinung, dass er gerade für so einen Fall die nicht günstige Versicherung unterhält.
Mit diesem Fall hat sich zukünftig das Landgericht am Wohnort des Stallbetreibers zu beschäftigen. Nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung stellt ein derartiger Pferde-Einstellvertrag, in dem sich ein Pferd zur Aufzucht in einem Betrieb befindet, einen entgeltlichen Verwahrvertrag dar. Dies gilt im Übrigen auch für den reinen Viehgräsungsvertrag, wenn man sein Pferd also 24 Stunden in den Sommermonaten in die Weidehaltung gibt. Die rechtlichen Folgen sind nicht unerheblich.
Eine der Hauptleistungspflichten des entgeltlichen Verwahrvertrag es ist, den in die Verwahrung gegebenen Gegenstand in dem Zustand herauszugeben, wie man ihn erhalten hat. Zu diesem Zeitpunkt lebte das streitgegenständliche Pferd noch. Der Verwahrer (also der Pensionsstallbetreiber) ist verpflichtet nachzuweisen, dass die Unmöglichkeit der Herausgabe des Pferdes ohne sein Verschulden unmöglich geworden ist. Der Stallbetreiber muss sich also entlasten, er muss den Nachweis führen, dass ihm oder seinen Angestellten keine Sorgfaltspflichtverletzung zur Last zu legen ist. Da inzwischen in sämtlichen Pferde-Zeitschriften (auch für tiermedizinische Laien) in den letzten Jahren Berichte darüber erschienen sind, dass man die Ursache der atypischen Weidemyopathie gefunden hat, nämlich den Samen des Bergahornbaumes, dürfte in diesem Fall sehr fraglich sein, ob eine Entlastung des Stallbetreibers erfolgen kann. Denn wenn bekannt ist, dass der Samen des Ahornbaumes die atypische Weidemyopathie auslösen kann, dann muss der Stallbetreiber Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, beispielsweise den Baum weitläufig absperren, so dass die Samen nicht von den Pferden aufgenommen werden können. Derlei war hier nicht geschehen, nicht umsonst kam wenige Tage später auch ein zweites Pferd zu Tode, mit identischen Symptomen.
Gerichtlich ist der Fall noch nicht entschieden, insofern wird man abwarten müssen, wie die Rechtsprechung eine etwaige Entlastung des Stallbetreibers sieht.
2) Anforderungen an eine ordnungsgemäße Pferdehaltung auf der Weide
Besonders haftungsträchtig ist bei der Weidehaltung leider immer der Zaun, da sich die Pferde daran schwer verletzen können oder aber er seine Eingrenzungsfunktion nicht ausübt, so dass die Pferde entkommen können. Kommt es zu einer Verletzung des Pferdes am Zaun, wird für die Frage, ob der Stallbetreiber seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist, auf die entsprechenden Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten, herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) zurückgegriffen, ebenfalls auf die Empfehlungen für Freilandhaltung von Pferden des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie auf die Leitlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Dort ist festgelegt, wie hoch der Weidezaun beschaffen sein muss. Die Mindesthöhe ist die Widerrufstür des größten Pferdes abzgl. 10 %. Das Oberlandesgericht Naumburg fordert in einem Urteil sogar eine Zaunhöhe von zwei Metern, das Oberlandesgericht Schleswig führte in einer Entscheidung aus, dass drei Litzen übereinander nicht ausreichend sein, um eine optisch ausreichende Barriere für Pferde zu bilden. Weiter wird gefordert, dass die Pfähle, an denen die Begrenzung angebracht ist, in einem Abstand von max. 3 m bis 3, 50 Metern gesetzt werden sollen, dabei sollen sie für die Pferde gut sichtbar sein. Weiter wird gefordert, dass Elektrobänder an allen Stellen des Zaunes eine Mindestspannung von 2000 V aufweisen müssen.
Überprüft man einmal gedanklich die Zäune, die einem persönlich bekannt sind, wird einem schnell klar, dass nur die allerwenigsten Zäune diesen Vorgaben entsprechen. Nicht umsonst ist die Haftung des Stallbetreibers in diesem Bereich äußerst groß.
Ein weiteres problematisches Thema ist die Haltung von Hengsten auf der Weide. Derzeit muss sich das Landgericht Köln mit einem Weideunfall befassen. Zu Schaden kam ein Ponyhengst, der sich im Endmaß befand. Er war äußerst verträglich und umgänglich, ging seit Jahren mit anderen Pferden, die sich auf den Nachbarweiden befanden, auf die Weide. Am Schadentag gelangte er durch einen Zaun, der nur aus zwei Litzen bestand. Zwischen den Parteien ist streitig ist, ob die Litzen Strom führten oder nicht. Fest steht, dass der Hengst auf die Weide des Nachbarpferdes gelangte, wobei er die beiden Litzen überwandt. Dort wurde er von dem Nachbarpferd zu geschlagen, so dass er sich eine Fraktur zuzog und sofort euthanasiert werden musste. Die Pferdeeigentümerin macht nun den ihr entstandenen Schaden in Form des Wertes des Pferdes sowie der Tierarztkosten für die Euthanasie geltend. In diesem Rechtsstreit muss ein Sachverständiger klären, ob die Unterbringung des Ponyhengstes auf der Weide als sorgfaltsgemäß anzusehen war, oder nicht. Gerade die Haltung von Hengsten auf der Weide ist problematisch. Es gibt Entscheidungen, in denen ausgeführt ist, dass Hengste gar nicht auf die Weide dürfen, wenn andere Pferde in Sichtnähe sind. Andere fordern einen besonders stabilen und hohen Zaun mit einem Abstand zur nächsten Weide, so dass die Pferde nicht aneinander schnüffeln können. In jedem Fall wird man einen Hengst mit einem Zaun bestehend aus nur zwei Litzen, wobei noch nicht mal klar ist ob die Litzen Strom führten, nicht auf einer Weide halten können. Dies dürfte von jedem Pferd, nicht nur einem Hengst, unproblematisch überwunden werden können.
Im Ergebnis wird aber ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Pferdezucht und-haltung beurteilen müssen, ob die Haltung des Hengstes auf der Weide durch den Stallbetreiber sorgfaltsgemäß war oder nicht.
3) Verletzung durch den Huftritt eines anderen Pferdes
Sehr häufig sind auch Rechtsstreitigkeiten zwischen Pferdehaltern, wenn eines der Pferde auf der Weide geschlagen wird. Die Rechtsprechung tendiert derzeit dazu, eine Haftung aller Pferdeeigentümer als Gesamtschuldner nicht anzunehmen, wenn eines der Pferde durch ein anderes getreten wird und im Nachhinein nicht feststellbar ist, welches der Pferde den schadenursächlichen Tritt ausgeführt hat. Es gibt zwar eine Vielzahl anderslautender Entscheidungen, auch heute noch, aber die Tendenz ist derzeit in der Rechtsprechung klar erkennbar.
Anders dürfte dies aber zu beurteilen sein, wenn ein Pferd eine Verletzung erleidet, die nur durch ein Pferd verursacht worden sein kann, dass an den Hintergliedmaßen beschlagen ist. In der Fachliteratur findet man hierzu nämlich die deutliche Aussage, dass Pferde, die hinten mit Hufeisen beschlagen sind, nie mit anderen Pferden gemeinsam auf die Weide dürfen. Der Tierarzt und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Pferdezucht und -haltung Dr. Maximilian Pick schreibt in einem seiner Bücher beispielsweise, dass der Hufbeschlag in erster Linie dem Schutz der Hufe vor einem zu starken Abrieb der Sohle und des Tragrandes dient, gleichzeitig aber eine große Gefahr für andere Pferde darstellt, wenn diese von dem Hufeisenträger geschlagen werden. Da ein Hufschlag das geschlagene Pferd oft innen am muskelarmen Unterarm oder Unterschenkel treffe, könne es hier leicht zu Knochenbrüchen kommen, die nur in den seltensten Fällen wieder geheilt werden könnten. Er schreibt daher, dass eine gemeinsame Haltung von Pferden, die an den Hintergliedmaßen beschlagen seien, als tierschutzwidrig anzusehen ist. Dementsprechend ist die Haltung eines an den Hintergliedmaßen beschlagenen Pferdes in einer Gruppe mit anderen Pferden als sorgfaltswidrig anzusehen. Steht fest, dass die Trittverletzung nur durch ein Pferd, das an den Hintergliedmaßen beschlagen ist, verursacht wurde (was in der Regel durch den Tierarzt beurteilt werden kann), dann kommt eine Haftung entweder des Stallbetreibers oder aber des Pferdehalters unter Berücksichtigung der oben zitierten Literatur in Betracht. Sicherlich muss man dies im Einzelfall entscheiden, kommt aber nur ein einziges Pferd als Verursacher der Trittverletzung infrage, kann die Haftung in vollem Umfange feststehen, auch wenn keiner den Tritt gesehen hat. In diesem Fall muss nur nachgewiesen werden, dass die Verletzung ausschließlich durch ein Pferd mit an den Hintergliedmaßen befindlichen Hufeisen verursacht worden sein kann.
Iris Müller-Klein, Fachanwältin für Medizinrecht