(Oldenburger International 04/2015)
Die Haltung von Pferden auf der Weide entspricht der artgerechten Haltung. Leider birgt diese artgerechte Haltung jedoch eine Vielzahl an Risiken, die immer wieder die Gerichte beschäftigt. Auf der Weide kommen die Pferde nämlich nicht nur dadurch zu Schaden, dass sie sich gegenseitig verletzen können oder sich am Zaun, ungepflegten Dornbüschen etc. verletzen, immer wieder spielen auch Vergiftungen von Pferden auf der Weide eine nicht unerhebliche Rolle.
1) Anforderungen an die Weidehaltung
Die meisten Pferde sind in einem Pensionsbetrieb untergestellt, auf dem Weiden zur Verfügung gestellt werden. Der Stellbetreiber ist verpflichtet, die Weiden so zur Verfügung zu stellen, dass sich die Tiere dort grundsätzlich nicht verletzen können. Aus diesem Grunde sind geeignete Zäune zu wählen. Die Rechtsprechung bedient sich bei der Ermittlung, was genau von einem Zaun, der eine Pferdeweide umschließt, zu fordern ist, an den Richtlinien für Pferdehaltungen Landwirtschaftskammer Hannover, der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und des Bundeslandwirtschaftsministeriums. In anderen Teilen Deutschlands werden die Richtlinien für Pferdehaltungen der jeweils zuständigen Landwirtschaftskammer herangezogen. Hier werden immer wieder Empfehlungen für die Mindestanforderungen, die an einen Zaun, mit dem Pferde vor dem Entweichen bewahrt werden sollen, ausgesprochen. So sieht die Rechtsprechung grundsätzlich eine Sorgfaltspflichtverletzung des Stallbetreibers als gegeben an, wenn von diesen Mindestanforderungen abgewichen wird. Diese sehen beispielsweise vor, dass Pfähle in einem Abstand von maximal 3-3,50 m gesetzt werden und die Umrandung der Pferdeweide für die Tiere ein gut sichtbares Hindernis darstellt. Die Weidezaunhöhe soll mindestens die Widerristhöhe des größten Tieres abzüglich 10 % betragen. Gerade diese Voraussetzung findet man in den seltensten Fällen. Auch hier weicht die Rechtsprechung jedoch immer wieder ab, so entschied beispielsweise das Oberlandesgericht in Celle im Jahr 2000, dass ein Weidezaun als Schutz für das Überspringen durch eine Stute mindestens 1,20 m hoch sein müsse, obgleich die Stute ca. 1,60 m gross war. Das Oberlandesgericht in Hamm kam daher auch im Jahr 2009 zu dem Ergebnis, dass eine Pferdeweide, die nur mit 1,20 m Stromlitze eingezäunt war, nicht sorgfaltsgemäß ist. Das Gericht argumentierte damit, dass gerichtsbekannt sei, dass Pferde unproblematisch höher springen könnten als 1,20 m und es sich bei dem entwichenen Pferd auch noch um ein Springpferd gehandelt habe. In dieser Entscheidung führte das Oberlandesgericht weiter aus, dass die untere Abgrenzung mit 70 cm zu hoch angebracht sei, so dass die Pferde darunter hindurchgehen könnten.
Auch das Oberlandesgericht Schleswig beschäftigte sich im Jahr 2005 mit der Hütesicherheit von Pferdeweiden. Hier ging es um einen Verkehrsunfall, der durch ausgebrochene Ponys verursacht worden war. Der Zaun hatte eine Höhe von 90 cm, wobei das größte Pony ein Stockmaß von 127 cm besaß. Nach Einholung eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen entschied das Gericht, dass das Mindestmaß der Zaunhöhe auch für Kleinpferde 120 cm betrage. Ein Zaun aus drei Drähten sei nicht ausreichend, denn der Zaun müsse auch eine optische Barriere für das Tier sein. Auch hier wurde erneut entschieden, dass die Sicherung durch einen Stromzaun mit einer Mindestspannung von 2000 V geboten sei. Das Oberlandesgericht Naumburg hingegen entschied, dass für Großpferde eine Zaunhöhe von bis zu 2 m zu fordern sei und für Ponys von bis zu 1,50 m. Die Entscheidungen zeigen deutlich, dass die Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an die Sicherheit von Weidezäunen hat, die in der Praxis nur die wenigsten Zäune tatsächlich erfüllen. Hinzu kommt nämlich zusätzlich, dass die Weidezäune so beschaffen sein müssen, dass sich die Pferde daran nicht verletzen können. So dürfen keine Schrauben und Nägel hervorstehen, Litzen herunterhängen etc. Die Rechtsprechung fordert aus diesem Grunde sogar von dem Stallbetreiber, dass er mindestens einmal pro Tag die gesamten Zäune kontrolliert. Gerade im Sommer wird gefordert, dass Gras, welches am Zaun wächst, gekürzt wird so dass die Stromzufuhr gewährleistet ist. Bei größeren Betrieben bedeutet dies praktisch, dass eine Person sich rund um die Uhr um den Weidezaun kümmern muss!
Bei der täglichen Kontrolle hat der Stallbetreiber jedoch nicht nur den Zaun im Blick zu halten, sondern auch die auf und um die Weide wachsenden Pflanzen. So sind die Weiden auf Giftpflanzen zu kontrollieren, die im Falle des Auftretens sofort abgesperrt oder entfernt werden müssen. Im Jahr 2012 nahm ein Pferdehalter den Stallbetreiber auf Schadensersatz in Anspruch, nachdem sein Pferd, welches sich dort schon den Sommer über in Weidepension befand, plötzlich neurologische Ausfallerscheinungen zeigte, nur noch taumelte und im Ergebnis euthanasiert werden musste. Das Pferd war nicht obduziert worden, so dass die Todesursache nur vermutet werden konnte. Es sprach alles für Vergiftungserscheinungen, wobei die Ursache der Vergiftung unbekannt war. Nach ständiger Rechtsprechung ist auch der reine Viehgräsungsvertrag als entgeltlicher Verwahrvertrag zu qualifizieren, wie auch der Pferde-einstellvertrag. Kommt nun das Pferd während der Obhut des Stallbetreibers zu Schaden, so muss dieser sich entlasten, d.h. den Nachweis führen, dass ihn daran kein Verschulden trifft. Der Stallbetreiber musste also im vorliegenden Fall den Nachweis führen, dass er die Weiden engmaschig kontrolliert hatte und Giftpflanzen sofort entfernt wurden, sobald sie auf der Weide auftraten. Im Ergebnis war es im konkreten Fall so, dass sich die Parteien verglichen.
Aktuell beschäftigt sich das Oberlandesgericht Celle mit einem ähnlich gelagerten Fall. In einem Pensionsstall in der Nähe von Hannover wurden Pferde in so genannter Robusthaltung gehalten. Das heißt sie kamen zwischen 12 und 24 Stunden auf die Weide, es existierten Unterstände, in die sich die Pferde zurückziehen konnten. Im September des vergangenen Jahres zeigte eines der Pferde plötzlich Kolik-Symptome, die in neurologische Ausfallerscheinungen übergingen. Das Pferd torkelte nur noch, es konnte nicht mehr stehen und musste im Ergebnis, nachdem der Kreislauf zusammengebrochen war, euthanasiert werden. Es wurde eine Obduktion durchgeführt, die aber kein klares Ergebnis brachte. Es sprach alles für eine Vergiftung, die Ursache der Vergiftung konnte jedoch nicht ausgemacht werden. Nur zehn Tage später zeigte das nächste Pferd genau dieselben Ausfallerscheinungen. Auch dieses Pferd musste im Ergebnis euthanasiert werden, wobei dieses Pferd keiner Obduktion unterzogen wurde. Die inzwischen aufgebrachten Pferdehalter gingen die Weiden Stück für Stück ab und mussten feststellen, dass sich auf der Weide ein Eichenbaum befand, um den rundherum eine Vielzahl grüner noch nicht reifer Eicheln lag. Die Pferdehalter entfernten diese Eicheln schubkarrenweise von der Weide. Eicheln können für Pferde giftig sein, gerade wenn sie noch nicht reif sind. Ob und in welchem Umfange den Stallbetreiber hier ein Verschulden am Versterben der Pferde trifft muss jetzt das Oberlandesgericht in Celle klären.
2) Gruppenhaltung von Pferden
Die Haltung von Pferden auf der Weide entspricht nach verschiedensten Empfehlungen einer artgerechten Tierhaltung. Dies wird grundsätzlich nicht bezweifelt. Dennoch kommt es immer wieder zu erheblichem Streit, wenn sich die Pferde untereinander auf der Weide verletzen, was bei Schlagverletzungen nicht selten mit dem Tod eines Pferdes aufgrund einer Fraktur endet. Im Jahr 2012 entschied das Oberlandesgericht München in einer viel zitierten Entscheidung, dass alle Tierhalter als Gesamtschuldner für den am verletzten Tier entstandenen Schaden haften, wenn nicht festgestellt werden kann, welches der Tiere aus der Herde den Schaden verursacht hat. Begründet wurde dies damit, dass in einer Herde ständige Interaktion herrscht und sich so die typische Tiergefahr z.B. durch Rangordnungsverhalten etc. bei jedem Tier verwirklicht und es im Ergebnis daher nicht darauf ankommen könne, welches der Tiere den Schaden verursacht. Diese Rechtsprechung ist nicht neu, auch zu anderen Tierarten wurde seit Jahrzehnten so entschieden. Typischerweise kann auch bei Beißereien zwischen mehreren Hunden im Nachgang nicht mehr festgestellt werden, welcher Hund wen gebissen hat. Auch hier wurde üblicherweise eine gesamtschuldnerische Haftung von allen an der Rangelei beteiligten Hunden angenommen, so dass die Hundehalter als Gesamtschuldner zur Kasse gebeten wurden. Da die Rechtsprechung aber leider nie einheitlich ist, berufen sich derzeit viele Versicherungen bei Schäden auf ein aktuelles Urteil, in welchem entschieden wurde, dass die Haltung von mehreren Pferden auf der Weide ein Handeln auf eigene Gefahr darstelle. Denn jedem Pferdehalter sei bewusst, dass es hier zu Schäden kommen könne. Wenn sich diese Gefahr dann realisiere, könnten keine Ansprüche geltend gemacht werden. Diese Entscheidung wird zwar sehr häufig gerade von Versicherungen zitiert, um dann den Schaden abzulehnen, die Entscheidung muss aber kritisch gewertet werden.
Die Haltung von Pferden in Gruppen stellt eine arttypische Haltung dar, nicht umsonst sind Pferde Herdentiere und können nicht in Einzelhaft (zumindest nicht artgerecht) gehalten werden. Der Kontakt zu Artgenossen ist ein grundlegendes Bedürfnis des Pferdes. Dabei sollte sich der Kontakt auch nicht nur auf Sichtkontakt beschränken, sondern auch auf Körperkontakt, denn z.B. die Fellpflege spielt in der artgerechten Haltung eine wichtige Rolle. Geht man nun davon aus, dass es sich hierbei immer um ein Handeln auf eigene Gefahr handelt, hätte dies zur Folge, dass im Grunde die Tierhalterhaftung gänzlich ausgeschaltet wird, wenn man sein Pferd artgerecht halten möchte und ihm den Kontakt zu anderen Tieren ermöglicht. Darin einer Art Haftungsfreizeichnung zu sehen kann nicht richtig sein. Gleichzeitig könnte man argumentieren, dass jeder Autofahrer, der sich in den Straßenverkehr begibt, damit rechnen muss, darin zu Schaden zu kommen und dementsprechend auch ein Handeln auf eigene Gefahr vorliegt. Wie auch die Tierhalterhaftung ist die Haftung des Kfz-Halters eine reine Gefährdungshaftung. D.h. die Haftung tritt ein, ohne dass überhaupt ein Verschulden vorliegen muss, nur aufgrund des Umstandes, dass man ein gefährliches Objekt im eigenen Interesse hält, durch das andere zu Schaden kommen können. Insofern muss diese Entscheidung als Einzelfallentscheidung gewertet werden und kann nicht verallgemeinert werden. Die Vielzahl der Rechtsprechung geht seit Jahrzehnten davon aus, dass auch bei der Weidehaltung die Tierhalterhaftung greift und – wenn beobachtet wurde – welches Pferd den Schaden verursacht hat, diese den Schaden ersetzen muss, anderenfalls die Pferdehalter alle auf der Weide befindlichen Pferde als Gesamtschuldner.
Unterschiedlich bewertet wird im Falle eines Schadens, ob für das verletzte Pferd selber anteilig ein Teil des Schadens selber getragen werden muss. Begründet wird dies damit, dass bei einer Interaktion zwischen den Pferden das beteiligte Pferd sicherlich auch ein Verursachungsbeitrag geleistet hat, infolgedessen es zu Schaden gekommen ist. Theoretisch mag dies sein, streng genommen ist ein Abzug für die eigene Tiergefahr jedoch nicht richtig. Die Tiergefahr kann nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich auch im konkreten Fall tatsächlich schadenverursachend ausgewirkt hat, denn nur der Aufenthalt zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort stellt noch keine Tiergefahr dar. Folgerichtig ist eine eigene Tiergefahr auch nur dann in Abzug zu bringen, wenn das geschädigte Pferd sich aktiv ins Geschehen eingemischt hat, d.h. die Pferde z.B. miteinander gerangelt haben und es dabei zu einem schädigenden Tritt etc. gekommen ist. Hat niemand gesehen, wie der Schaden tatsächlich entstanden ist, steht also nur fest, dass die Verletzung durch ein anderes Pferd erfolgt ist, so darf strenggenommen auch kein Abzug für die eigene Tiergefahr vorgenommen werden.
3) Verletzung von Fohlen in der Weidehaltung
Problematisch ist auch immer wieder das Halten von Zuchtstuten mit ihren Fohlen auf der Weide. Gerade wenn die Fohlen jung sind, laufen sie oft unbedarft zu den anderen Pferden und werden durch Huftritte schwer verletzt. Auch das Führen der Mutterstuten mit ihren Fohlen birgt erhebliche Risiken. So entschied kürzlich das Oberlandesgericht Celle, dass der Halter einer Stute, die nach einem anderen Fohlen geschlagen hatte, welches dadurch ein Auge verloren hatte, den Schaden zu 100 % zu zahlen hat. Das Oberlandesgericht hatte bei seiner Entscheidung das Gutachten einer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Pferdezucht und -haltung eingeholt um zu klären, ob der Stallbetreiber beim Führen der Mutterstute mit dem Fohlen sorgfaltsgemäß vorgegangen war. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass man gerade junge Fohlen, das Fohlen war erst wenige Tage alt, nicht zusammen mit den anderen Stuten in den Stall bringen soll, da hier die Gefahr zu groß ist, dass das Fohlen zur falschen Stute läuft oder unbedarft mit in eine andere Box läuft. Da der Stallbetreiber somit sorgfaltswidrig gehandelt hatte, hatte er für den entstandenen Schaden einzustehen. Das schwer verletzte Fohlen war bereits zur Elite Auktion des Verbandes zugelassen worden. Um den Wert vor dem Schadenereignis zu bestimmen, wurde daher der Durchschnittswert der veräußerten Stutfohlen genommen. Dieser Wert abzüglich des ermittelten Restwertes musste an den Stallbetreiber gezahlt werden.
Iris Müller-Klein, Fachanwältin für Medizinrecht